Lytro Illum: Testbericht nach Drei Wochen Nutzung [Review]
Sie sieht sexy aus, aber hält sie auch, was sie verspricht? Wir konnten die Lytro Illum Lichtfeldkamera drei Wochen lang testen, und möchten euch mit diesem Review einen besseren Eindruck von Kamera und Software geben.
Grundlagen
Lytro Illum ist der Name der zweiten Lichtfeldkamera aus dem Hause Lytro – und damit der zweiten Lichtfeldkamera für nicht-industrielle Zwecke. Im Vergleich zur ersten Generation, die gelegentlich als “Proof of Concept” gesehen wird, wartet Lytro hier mit einer Kamera für den “kreativen Pionier” auf: Ihr großes 30-250 mm Objektiv bei konstanter f/2.0 Blende, der 40 Megaray-Sensor und der integrierte Snapdragon-Prozessor, der SD-Kartenslot und der Spiegelreflex-Formfaktor zeigen, dass das Zielpublikum nicht länger auf Technikbegeisterte beschränkt ist, sondern der Semi-Professionelle Markt angesprochen werden soll. Das Ganze hat mit derzeit 1.299 Euro aber auch seinen Preis.
Ausgepackt
Die Illum ist einzigartig, und das merkt man schon im Anblick der Verpackung: Entfernt man den Mantel, steht man vor einem schwarzen Kartonwürfel der sich aufklappen lässt und die Lichtfeld-Kamera preisgibt.
Durch die Segmentierung der Schachtel für den Klappmechanismus ist der Packungsinhalt angenehm aufgeteilt und bietet jedem Einzelteil seinen eigenen, leicht zugänglichen Platz. Das Lytro-Team verzichtete bei der Packung völlig auf Beschriftungen und setzte stattdessen auf leicht verständliche, glänzend in den Karton gepresste Icons. Ebenso wurde Plastik weitgehend vermieden und (bis auf die Verpackung kleinerer Teile) durch Karton ersetzt, was eine positive Erwähnung verdient.
Handhabung
Die Kamera selbst überrascht uns beim ersten Aufheben durch den soliden Eindruck, was sowohl Materialfertigung als auch Gewicht angeht. Sie wirkt mit ihren 940 Gramm massiv, liegt gut in der Hand, und …beeindruckt. Nach dem Einlegen des Akkus zeigt das 10 cm große Touch-Display für einige Sekunden eine Art “3D Wassertropfen-Wirbel”-Animation, und schließlich einen durchgehend schwarzen Bildschirm: der Linsendeckel ist noch drauf. :)
Die Bedienung der Kamera über Hardware-Buttons und Touchscreen erscheint uns als Lytro-Fans der ersten Stunde sehr intuitiv: Aufgenommene Bilder “fliegen” nach links und können wie auch bei der ersten Kamera durch einen Fingerwisch nach rechts wieder aufgerufen werden. Das Kameramenü ist kompakt und übersichtlich, und wird vom rechten Rand hereingezogen. Die Belegung der meisten Hardware-Knöpfe an der Kamera kann über die Kamera-Einstellungen den eigenen Wünschen angepasst werden.
Im normalen Betrieb zeigt die Kamera ein praktisch verzögerungsfreies Live-Bild, und ermöglicht mit Autofokus-Button oder Touch-to-Focus Funktion das schnelle Scharfstellen auf das wichtigste Objekt im Bild. Mit Druck auf den Lytro-Button schaltet die Kamera in eine Art Tiefen-Vorschau um und überlagert Konturen mit farbkodierten Tiefendaten: Bildelemente im Vordergrund werden blau, Hintergrundelemente orange markiert. Diese Ansicht ermöglicht das genaue Einstellen des Refokus-Bereichs (also der Tiefenebenen, zwischen denen später refokussiert werden kann), der durch die Kombination aus Fokusring und Zoom beeinflusst werden kann. Dass die dahinter stehende Live-Auswertung des Lichtfelds rechenaufwändig ist macht sich durch ein minimales Hinterherhinken der Displayanzeige bei Bewegungen bemerkbar. Im Rahmen des eigentlichen Verwendungszwecks dieses Features, nämlich der Feinjustierung einer statischen Szene, fällt der leichte “Lag” jedoch nicht weiter auf.
Software
Seit der ersten Version von Lytro’s Desktop Software hat sich einiges getan! Lytro Desktop 4.2 bietet vielfältige Möglichkeiten zur Nachbearbeitung der aufgenommenen Lichtfelder, vom Weißabgleich und Farbkorrekturen, über Zuschneiden und Schärfen, bis hin zur “Virtuellen Kamera”, wo nicht nur die Schärfeebene nachträglich verändert werden kann, sondern auch die Blendenöffnung (und damit Schärfentiefe) sowie der Bereich des Bildes, der unabhängig von der Blendenzahl völlig scharf sein soll.
Spätestens beim letztgenannten Feature merkt man, dass Software-Refokus wirklich nur der erste Schritt in der Kamera-Evolution ist. Statt aufwändigen Fokus-Stapeln markiert man einfach per Regler, was im Bild scharf oder unscharf sein soll, und den Rest macht der Rechner.
Wer seine Lichtfeld-Bilder lieber mit dem eigenen Lieblingsprogramm bearbeitet kann aus einer ganzen Reihe von Exportmöglichkeiten wählen – vom statischen “flachen” JPG mit fixer Fokusebene bis hin zum Fokusstapel, in dem man neben einzelnen Schärfeebenen auch die Tiefenkarte ganz genau korrigieren kann.
Ist das Bild fertig optimiert, kann es wahlweise als interaktives “Lebendes Bild” im eigenen Lytro-Album, am Fotoportal 500px, oder als benutzerdefinierte Animation im Videoformat (zB. für Youtube) geteilt oder direkt am eigenen 3D-Bildschirm in drei Dimensionen präsentiert werden.
Bildqualität
Die Farbwiedergabe der Bilder wirkte für uns im Test durchwegs gut. Auch in der späten Dämmerung produzierte die Kamera noch schöne Farben. Für sehr helle Situationen, bei denen die große Blendenöffnung evtl. zu viel Licht einfängt, ist ein Graufilter im Produktumfang enthalten. Beim kurzfristigen Testeinsatz am Gletscher hatten wir diesen leider nicht dabei, was aber (nicht zuletzt durch die RAW-Bildaufnahme und automatische Bildauswertung) nicht weiter problematisch war.
Interessanterweise finden sich beim JPG-Bildexport von Nahaufnahmen an sehr feinen Konturen/Strukturen teilweise Bildartefakte, die wohl auf eine zu grobe Tiefenkarte zurückzuführen sind. In der interaktiven Ansicht sind solche Bildfehler kaum zu beobachten. Für scharfe Ränder in exportierten JPG-Bildern muss man hier wohl vorerst händisch in der Tiefenkarte Nachbessern, was durchaus möglich ist, sich aber zeitaufwändig gestalten kann. Die gespeicherten RAW-Dateien machen es zusätzlich möglich, solche Artefakte durch zukünftige Software-Updates auch rückwirkend zu beseitigen.
Sehr überzeugt hat die Kamera dagegen in dunklen Situationen, also ohne Sonnenlicht und mit teilweise schwacher künstlicher Beleuchtung. Hier war die Kamera im Direktvergleich etwa gleichauf mit der Sony RX-100, die als Kompaktkamera sehr für ihre Low-Light-Leistung gelobt wird:
Beispielbilder
Mit den folgenden Bildern kannst du dir einen eigenen Eindruck von der Bildqualität in verschiedenen Situationen machen. Unter den interaktiv eingebundenen “Lebenden Bildern” (hier als interaktives Lytro-Album) gibt’s jeweils dazugehörige Download-Links für RAW-Bilder und statisch exportierte JPEGs in voller Auflösung (Rechtsklick + “Ziel speichern unter”).
Eine Reihe weiterer Lytro Illum Lichtfeld-Bilder gibt es hier als Lytro-Album.
Apfelblüten
aufgenommen mit 40 mm, 1/320 s, ISO 80, f/2.0; geändert auf f/1.4 using Virtual Camera feature
Illum RAW file: Apple flowers (Lytro XRAW) (91.9 MiB, 2,746 hits)
Muh! Kuh-Nahaufnahme
aufgenommen mit 33 mm, 1/500 s, ISO 80, f/2.0
Illum RAW file: Cow close-up (Lytro XRAW) (89.2 MiB, 2,124 hits)
Waldmeister-Relief
aufgenommen mit 32 mm, 1/160 s, ISO 80, f/2; geändert auf f/1.5 mit “Virtuelle Kamera” Feature + erweiterte Schärfentiefe
Illum RAW file: Woodruff relief (Lytro XRAW) (92.7 MiB, 2,034 hits)
Löwenzahn-Blüte
aufgenommen mit 54 mm, 1/500 s, ISO 80, f/2
Illum RAW file: Dandelion flower (Lytro XRAW) (92.4 MiB, 1,950 hits)
Physik-Experiment
aufgenommen mit 38 mm, 1/40 s, ISO 1600, f/2
Illum RAW file: Physics experimental setup (Lytro XRAW) (89.1 MiB, 2,029 hits)
Blaukissen Nahaufnahme
aufgenommen mit 59 mm, 1/1000 s, ISO 80, f/2; Farbkorrektur, f/3.4 virtuell + Focus Spread
Illum RAW file: Purple Aubretia close-up (Lytro XRAW) (94.5 MiB, 1,982 hits)
Frühling in den Alpen
aufgenommen mit 30 mm, 1/4000 s, ISO 80, f/2, +0.3EV
Illum RAW file: Springtime in the alps (Lytro XRAW) (92.8 MiB, 2,088 hits)
Leberblümchen Nahaufnahme
aufgenommen mit 38 mm, 1/2000 s, ISO 80, f/2, -0.3 EV
Illum RAW file: Liverwort close-up (Lytro XRAW) (91.3 MiB, 1,903 hits)
Glockenblume, extreme Nahaufnahme
aufgenommen mit 31 mm, 1/30 s, ISO 500, f/2
Hinweis: Die Blütenblätter berühren hier das Objektiv, der Refokusbereich ist dadurch nicht bis auf den Hintergrund optimiert.
Illum RAW file: Campanula flower extreme close-up (Lytro XRAW) (93.1 MiB, 1,776 hits)
Härtetest: Sprießende Birkenblätter mit extremen Vordergrund-Details
aufgenommen mit 250 mm, 1/1600 s, ISO 80, f/2
Illum RAW file: Birch bud burst (Lytro XRAW) (96.7 MiB, 1,799 hits)
Schwachlicht-Test: Eiskristalle in einer Gletscherhöhle, schwaches Kunstlicht
aufgenommen mit 32 mm, 1/30 s, ISO 320, f/2; ohne Farbkorrektur
Illum RAW file: Ice crystals (Lytro XRAW) (92.9 MiB, 1,845 hits)
Schwachlicht-Test: Eiskristalle in einer Gletscherhöhle, schwaches Kunstlicht
aufgenommen mit 32 mm, 1/30 s, ISO 320, f/2; Farb- und Helligkeitskorrektur
(same RAW-file as above)
Resümee
Die Lytro Illum bietet als semiprofessionelle Lichtfeldkamera vielfältige Möglichkeiten für fotografische Kreativität und rückt die Zukunft der Kameras einen Schritt näher. Im Vergleich zur 1. Kamerageneration hat Lytro hier in jeder Hinsicht deutliche Verbesserungen gebracht, und sich von der technischen “Spielerei” zu einem soliden Produkt hochgearbeitet. Mit aktuellen Spiegelreflexkameras kann die Illum in Sachen Auflösung und Bildqualität noch nicht mithalten, aber diese sollte sie auch nicht ersetzen. Sie eignet sich aber hervorragend für hochauflösende, interaktive Darstellung auf Displays – und hier trumpft die Kameratechnologie eindeutig mit einer Reihe von neuen, so noch nie dagewesenen Fotografie-Features.
Mit dem derzeitigen Preispunkt von 1.299 Euro ist die Kamera nicht besonders erschwinglich, bietet dafür aber auch einzigartige Funktionen und neuen Spaß beim Fotografieren und Experimentieren.
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