Lytro Kamera: Erfahrungsbericht nach 15 Monaten Lichtfeld-Fotografie [Review]

Die Lytro Lichtfeld-Kamera kommt in Kürze nach Deutschland, und wird damit erstmals auch in Europa ohne größere Umwege und Stolpersteine erhältlich sein.
Als Benutzer der ersten zweiten Stunde (meine Kamera wurde zum zweiten Liefertermin im April 2012 ausgeliefert) möchte ich diesen Anlass nutzen, um nach knapp 15 Monaten mit der Lytro-Kamera einmal ausführlich Bilanz zu ziehen.

Lytro Lichtfeld Kamera (Foto: Lytro.com)

Technische Details

Falls der Begriff “Lichtfeld” Neuland für dich ist, empfehlen wir dir unsere Seite Was ist das Lichtfeld?. Kurz gesagt nimmt die Kamera nicht nur die Position der Lichtstrahlen am Sensor auf, sondern zusätzlich die Richtung der Lichtstrahlen. Dadurch öffnen sich aufregende, neue Möglichkeiten zur Bildauswertung, wie z.B. Refokus (Scharfstellen und Fokus verschieben nach dem Abdrücken), Perspektive oder 3D.

Die Lytro Kamera zeichnet 11 Millionen Lichtstrahlen auf (11 Megarays) und verrechnet diese anschließend in ein interaktives Bild mit 1080×1080 Pixeln und deutlich mehr Informationsgehalt als konventionelle Bilder. Sie verfügt über ein Objektiv mit konstanter f/2 Blende (in anderen Worten: viel Licht für den Sensor) und 8x Zoom, einen 38,5 mm Touchscreen, WiFi-Chip und wahlweise 8 oder 16 GB internen Speicher (Platz für ca. 350 bzw. 750 Bilder).
Nähere Infos zu den Spezifikationen gibt’s auf unserer Produktseite: Lytro Lichtfeld Kamera.

Aussehen und Design

Die revolutionäre Lytro Lightfield Kamera in 3 Modellen (Foto: Lytro) Lytro hatte beim Design der Kamera diversen Berichten zufolge vor allem ein großes Vorbild: Apple.
Das Design ist sehr schlank und elegant, und doch zieht die Lichtfeld-Kamera aufgrund des unkonventionellen, einzigartigen Äußeren alle Blicke auf sich. Oft hat man sein Lichtfeld-Bild noch nicht einmal aufgenommen, bevor ein interessierter Passant eine Frage stellt.
Lytro’s erste Kamera ist auf das notwendigste reduziert: Hinter dem farbigen Aluminium-Gehäuse verbirgt sich das optische System der Kamera, im Bereich des anti-rutsch Silikonabschnitts sind Sensor, Batterie und einige Elektronik verbaut.
Der schützende Objektivdeckel, dem Formfaktor entsprechend quadratisch, hält magnetisch an der Vorderseite des Objektivs.

Bedienung

Touchscreen-Steuerung der Lytro-Kamera (Bild: Lytro) Für die Steuerung der Kamera gibt es 4 Elemente: Den Ein/Aus-Taster an der Unterseite (direkt neben dem Mikro-USB Anschluss), den Auslöser (mit dem die Kamera ebenfalls eingeschaltet werden kann) und den Touch-Zoom-Regler an der Oberseite, und die Touchscreen-Anzeige.
Die Bedienung ist dank Swipen/Wischen und Tippen intuitiv und übersichtlich. Nimmt man z.B. ein Bild auf, wird es per Animation nach links aus der Anzeige geschoben. Will man sich dieses Bild gleich ansehen, muss man es nur wieder von links nach rechts ins Bild ziehen. Die Menüleiste kann man bequem vom unteren Rand heraufziehen. Auf Wörter wird im Interface bestmöglich verzichtet, stattdessen geben klare Symbole (wie Akkuladestand, verfügbarer Speicher oder der Mülleimer) eine schnellere, eindeutige Übersicht über die Funktionen.
Erweiterte Einstellungsmöglichkeiten (Verschlusszeit, ISO-Empfindlichkeit, ND-Filter, Selbstauslöser) wurden mit der Zeit in Firmware-Updates freigegeben und gehören jetzt zum Standard-Repertoire der Kamera.

Lichtfeld-Fotografieren im Alltag

Beim Fotografieren fällt vor allem eines sofort positiv auf: Die Kamera ist allzeit bereit und löst ohne Verzögerung aus. War die Kamera länger ausgeschaltet, vergehen zwischen Einschalten und erstmöglichem Auslösen des Shutters nicht einmal zwei Sekunden. Wurde sie gerade erst verwendet, dauert es sogar noch kürzer.
Weil das Bild generell erst nach der Aufnahme fokussiert wird, muss beim Fotografieren nicht erst scharf gestellt werden. Der Auslöser öffnet und schließt im Standard-Modus ohne jegliche Verzögerung, und ermöglicht so mitunter auch Schnappschüsse, die andernfalls nicht möglich wären. Im erweiterten Kreativ-Modus, bei dem Benutzer/innen mehr Kontrolle über den Refokus-Bereich haben, wird per Bildschirm-Antippen innerhalb fokussiert. Das dauert entsprechend etwas länger, ist aber ebenfalls in 2-3 Sekunden geschehen.

Bilder komponieren

Für das Aufnehmen von Bildern, die die Lichtfeld-Features optimal ausnützen, bedarf es im Vergleich zur herkömmlichen Fotografie etwas Umdenken: Gefragt sind Motive mit viel räumlicher Tiefe, d.h. Objekte in verschiedenen Fokusebenen zwischen 12 cm und der optischen Unendlichkeit (>2 m) liegen. Solche Bilder erzeugen nämlich viel Refokus-Effekt und dreidimensional effektvolle Bilder (wichtig z.B. für Perspektive und 3D-Ansicht).
Oft ist es hilfreich, von der klassischen zweidimensionalen Bild-Komposition wieder “einen Schritt zurück” zu treten, und Situationen ganz bewusst in den drei Dimensionen wahrzunehmen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase passiert das meist ganz automatisch.
Wie schon kurz beschrieben entfällt das Scharfstellen direkt vor der Aufnahme, man kann sich also, nachdem die Kamera in einem Abstand von mindestens 12 cm positioniert wurde, voll auf die Komposition und (zB. bei beweglichen Motiven) das Abdrücken im richtigen Moment konzentrieren.

Das gezielte Einsetzen von Unschärfe zum Kaschieren von unpassenden Bildteilen oder störenden Elementen, wie man es v.a. von der Spiegelreflex-Fotografie kennt, ist nicht mehr so leicht möglich: Betrachter/innen können beim Ansehen auf alle Teile im Bild (die innerhalb des Refokus-Bereichs liegen) scharf stellen und die Szene selbst entdecken. Im Kreativ-Modus kann durch die richtige Wahl des Refokus-Bereichs aber immer noch gezielt verschwommen werden.

Bilder auswerten und teilen

Lytro Desktop Dummy: Try the Lytro Desktop Software yourself with 4 LightField Sample Files Aufgenommene Bilder können sofort auf der Kamera angesehen und refokussiert werden. Für eine größere Ansicht und weitere Features (z.B. Perspektive oder interaktive “Lebende Filter”) müssen die Bilder auf einen Computer (mittels Mikro-USB Kabel und Lytro Software) oder Smartphone (via WiFi und iPhone-App) übertragen werden, wo eine genauere Auswertung stattfindet.
Aufgrund der reicheren Informationen werden Bilder nicht einfach als JPGs gespeichert, sondern als Lichtfeld Bild-Dateien (LFP), die mit Lytro’s kostenloser Desktop Software (ab Windows 7 64-bit bzw. Mac OS 10.7) geöffnet werden können.
Die erstmalige Berechnung eines solchen Bildes kann je nach Computerleistung einige Minuten in Anspruch nehmen, anschließend werden die Bilder aber später innerhalb kurzer Zeit geladen und angezeigt.
In der Desktop Software (und auch in der neuen iPhone App) kann neben Refokus auch der Perspektiven-Effekt (Perspective Shift) angezeigt werden – also das Ändern des Betrachtungswinkels im Bereich einiger Zentimeter. Zudem können Bilder mit “Lebenden Filtern” versehen werden, die interaktiv je nach gewähltem Fokus und Perspektive unterschiedliche Effekte bewirken.

Um den Spaß schließlich mit Familie und Freunden zu teilen, müssen die gewünschten Bilder ins (ebenfalls kostenlose) Lytro-Webalbum hochgeladen werden. Von hier aus kann der Link zum Bild geteilt werden, und die Bilder sind mit allen gängigen Browsern interaktiv erlebbar. Ein Beispiel:

https://pictures.lytro.com/me/pictures/653308

(Lebendes Bild: Klicken für Refokus, Klicken und Ziehen für Perspektive)

In Sozialen Netzwerken werden die Bilder mitunter direkt im Beitrag geladen – z.B. in Facebook und Twitter, bei Google+ und Pinterest nur mit entsprechendem Chrome-Plugin.
Die erst kürzlich veröffentlichte iOS App ermöglicht außerdem den Export als AniGIF, also als kleines animiertes Bild, das selbständig durch das Bild fokussiert oder die Perspektive kreisen lässt.

Lichtfeld-Bilder können mit Hilfe der Desktop Software übrigens auch als “flaches” JPG in HD-Auflösung (1080×1080) exportiert werden.

Bildqualität

Lytro: Bildqualität bei Schwachlicht und in dunklen Situationen Die Qualität von Lichtfeld-Bildern ist in der Theorie deutlich besser als die herkömmlicher Bilder. Ein einzelner Bildpunkt im berechneten Bild setzt sich nämlich aus mehreren Pixeln am Sensor zusammen. Besonders in dunklen Situationen sollte sich das künftig positiv bemerkbar machen.
Am aktuellen Stand der Lytro-Entwicklung entspricht die Qualität der Bilder (Farbwiedergabe, Bildrauschen, Schärfe) allerdings noch in etwa der von Mittelklasse-Smartphonekameras. Bei genügend Tageslicht entstehen sehr schöne Bilder. Wird es etwas dunkler, muss man mit den üblichen Einbußen (v.a. Rauschen) in der Bildqualität rechnen.

Nie mehr schlechte Bilder?

In den Medien wird die Kamera gern als “das Ende schlechter Bilder” dargestellt. “Nie wieder unscharfe oder falsch fokussierte Bilder”, heißt es oft. Ganz richtig ist das aber leider nicht.
Durch die nachträgliche, interaktive Wahl der Schärfeebene sind Bilder gehören falsch scharf-gestellte Bilder praktisch der Vergangenheit an. Das ist jedoch nicht das einzige Kriterium für ein gutes Bild: Bewegungsunschärfe, z.B. durch Verwackeln der Kamera, das unabsichtliche Unterschreiten des Mindestabstands oder ein schiefer Horizont gehören zu den Problemen, die auch die Lichtfeld-Technologie bislang nicht lösen kann.

Das Ende traditioneller Digitalkameras?

Lytro: Das Ende traditioneller Digitalkameras? Ist die Lytro-Kamera eine Bedrohung für herkömmliche Kompaktkameras? Wohl kaum. Das will sie aber auch (noch) gar nicht sein. Durch ihre einzigartige Technologie und Funktionen ist das Anwendungsgebiet der Kamera ein anderes, als das der traditionellen Kameras. Um Refokus, Perspektive und 3D-Effekt effektiv zu nutzen, benötigen Lichtfeld-Bilder viel Tiefe und Objekte in unterschiedlichen Entfernungen.
Ein herkömmliches Landschaftsfoto bleibt, auch mit der Lytro Kamera aufgenommen, ein flaches (und quadratisches) Bild ohne Möglichkeiten zur Interaktion. Bringt man aber räumliche Tiefe und Vorder-/Hintergrund mit ins Spiel, wird das Bild zu einem Fenster, das die Betrachter/innen entdecken und erforschen können.
Auch die “fehlenden” Megapixel im endgültigen Bild zeigen, dass die Kamera vorrangig für etwas anderes ausgelegt ist, als flache Bilder großflächig auszudrucken. Es geht vor allem um’s Interagieren und Erleben am Bildschirm, und dafür benötigt man keine 8 Megapixel.
Natürlich erwarten wir, dass mit technologischen Verbesserungen letztendlich jede Kamera hochauflösende Lichtfeld-Bilder aufnehmen kann, die sich bei Bedarf auch für Posterdruck eignen. Das ist jedoch eine Anwendung, die die Betrachter nicht ins Erlebnis einbindet, und dem die heutige Technologie zudem noch nicht gewachsen ist.
Kurz gesagt: Die Lytro Kamera ist kein Ersatz für herkömmliche Kameras, sondern eine kreative Ergänzung.

Pro und Kontra

Die Lytro Lichtfeld-Kamera ist die weltweit erste Lichtfeld-Kamera, die auch für Endverbraucher leistbar ist. Wie jedes Produkt der ersten Generation hat die Kamera einige Mängel, bietet aber auch einige aufregende neue Möglichkeiten. Beginnen wir mit den negativen Punkten.

Kontra:

  • Der wohl am häufigsten genannte Kritikpunkt ist die effektive Bildauflösung. Diese ist mit HD-Abmessungen tatsächlich noch etwas niedrig, entspricht aber durchaus dem Anwendungsgebiet der Kamera: Das Interagieren und Betrachten am Bildschirm, und das Teilen der Bilder im Internet.
  • Weiters zu nennen ist das Kamera-Display, das etwas klein geraten ist und in hellen Situationen nur relativ schlechte Sicht bietet. Durch Rotieren der Kamera um 90 ° kann die Helligkeit ggf. etwas verbessert werden, ein hochauflösendes Super-AMOLED Display ist es aber offensichtlich nicht.
  • Will man größere Mengen Lichtfeld-Bilder auf einmal übertragen und auswerten, kann das einige Zeit in Anspruch nehmen. Je schneller aber der verwendete Computer ist, desto schneller laufen auch die Berechnungen.
  • Für die Auswertung und das Hochladen von Lichtfeld Bildern sind Benutzer/innen auf Lytro’s hauseigene Desktop Software angewiesen. Zumindest, bis die Technologie sich weiter in den Mainstream bewegt und auch Drittanbieter wie Adobe das Dateiformat unterstützen.

Pro:

  • Auf der positiven Seite möchte ich an erster Stelle die Innovation anführen. Noch nie war es bisher möglich, mit einer einzigen Aufnahme aus einer einzigen Linse solche Dinge zu vollbringen.
  • Die technische Neuerung ist an sich schon aufregend, eröffnet aber auch neue kreative Möglichkeiten und ein individuelles, interaktives Erlebnis für Betrachter/innen.
  • Ein sofort wirksamer Auslöser ist besonders bei beweglichen Motiven extrem praktisch, und erlaubt zusammen mit dem Wegfall des vorherigen Scharfstellens mehr Konzentration auf das wirklich Wichtige: Gute Bildkomposition und perfektes Timing.
  • Weil Lytro in jedem Bild die gesamten Rohdaten des Lichtfeld-Sensors speichert, können weitere Features, z.B. die native Anzeige auf 3D-Displays, per Software-Update nachgeliefert und in den meisten Fällen auf bereits aufgezeichnete Bilder nachträglich angewendet werden.
  • Mit 399 Dollar (für die günstigeren Modelle) liegt die Kamera, nach meinem Ermessen, eigentlich in einem relativ günstigen Bereich für eine solche Neuerung. Andere Lichtfeld Kameras, z.B. im von Raytrix, starten im Bereich mehrerer Tausend Euro (und sind demnach ganz klar für die Industrie konzipiert). Wie die europäischen Preise liegen werden, dürften wir morgen erfahren.

Fazit

Lytro’s erste Lichtfeld Kamera ist neu und bietet spannende Möglichkeiten, die Kinder- und Erwachsenen-Augen groß werden lassen. Wer sich für Fotografie interessiert und für neue Technologien begeistern kann, wird sehr wahrscheinlich viel Freude damit haben. Als Produkt der ersten Generation in einer völlig neuen Gerätekategorie gibt es aber natürlich auch Mängel und Kritikpunkte.
Alles in allem möchte ich sie aber nicht mehr missen: Lytro-Fotografieren macht Spaß, ist kreativ, und bindet auch die Betrachter individuell ins Erlebnis ein.

Wer jetzt Lust auf das Entdecken von Lytro-Bildern bekommen hat, findet interessante Beispiele z.B. in Lytro’s offizieller Bildergalerie, oder auch in meinem persönlichen Lytro-Album.
Nähere Infos zur Lichtfeld-Technologie, zu erhältlichen Kameras und aktuellen Prototypen sind am schnellsten über die Navigationsleiste ganz oben zugänglich.

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